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Grenzen und Scheitern des Besuchsrechts - Folge 16

von Reinmar du Bois

Tutorial für Sachverständige

Warnung: Dies ist keine Lektüre, aus der Eltern, die sich getrennt haben, irgendeinen Nutzen ziehen können, auch wenn sie gerade Schwierigkeiten wegen des Umgangs haben. Sie könnten sogar verwirrt sein. Dieser Blog richtet sich nicht an Betroffene, sondern an GutachterInnen. Diese sind mit seltenen Problemen konfrontiert, die viele Laien nur vom Hörensagen kennen. Personen, die nicht vom Fach sind und diesen Blog dennoch lesen, tun dies auf eigenes Risiko.







Sachverhalt und Ausgangslage


GutachterInnen werfen einen bangen Blick auf turmhohe Aktenberge und liegen in der Vermutung richtig, dass der erteilte Auftrag (wieder einmal) einen Dauerstreit um das Besuchsrecht betrifft. In den Akten finden sich Fotomappen und Video CDs, seitenlange Ausdrucke von E-Mail oder WhatsApp Korrespondenzen zwischen den Parteien, Zeitungsausschnitte, wissenschaftliche Abhandlungen, Vorgutachten und private Gegengutachten, Atteste und Leumundszeugnisse, Befangenheitsanträge und Beschwerdeinstanzen, Missbrauchsvorwürfe, polizeiliche Anzeigen und Gewaltschutzverfahren, umfangreiche, von den umgangsbegehrenden Vätern selbst verfasste Ausarbeitungen und entsprechende Erwiderungen der Mütter, die sich gegen den Vorwurf wehren, den Umgang zu verweigern oder zu vereiteln. Die Akten legen Zeugnis ab von einer tief verstrickten und verhakten Beziehung der Expartner, die trotz der Trennung nie aufgehört hat. Beide Parteien werfen einander vor, psychisch gestört zu sein (Favorit: Borderline Syndrom) und dem Kind deshalb nicht gutzutun. Die Mütter disqualifizieren sich in den Augen der Väter zumindest aufgrund ihrer Bindungsintoleranz und manipulativer Tendenzen aber auch aufgrund weiterer psychischer Schwächen, hysterischer Dramen und Täuschungen, die Väter in den Augen der Mütter aufgrund angsterregenden Verhaltens während der Zeit des Zusammenlebens oder aufgrund psychischer Entgleisungen, Nachstellungen, Telefonterror nach der Trennung. Über die Umgänge ist zu lesen, dass sie nie wirklich zur Zufriedenheit beider Parteien verlaufen seien und schlimmstenfalls überhaupt nie eingerichtet worden seien oder häufig ausgefallen und abgesagt worden seien, lange Zeiten unterbrochen worden seien, im Wechsel zwischen Desinteresse und Maximalforderung verlaufen seien, zu Forderungen einer zwangsweisen Herausnahme der Kinder und deren Umsiedelung geführt hätten und anderes mehr.

Die betroffenen Kinder haben zum Zeitpunkt der Begutachtung die meiste Zeit ihrer Kindheit unter dem Eindruck solcher teils brisanten, stets lauernden, nie endenden Konflikte gestanden, haben Ängste, Bedrohungen und Bedrängnisse ihrer Mütter miterlebt oder mussten, richtig oder falsch, von solchen Notlagen ausgehen oder solche befürchten. Mit anderen Worten, sie sind innerlich von den Wirkungen dieser Konflikte auf die Psyche der beteiligten Eltern und somit auf ihr eigenes kindliches Leben tief beeindruckt. Solche Wirkungen betreffen in der Kindheit zentral und vorrangig das Zusammenleben der Kinder mit ihren Hauptbezugspersonen. Die Kinder machen sich Gedanken darüber, wie das Ganze weitergehen soll und was schlimmstenfalls noch alles passieren und ihr Leben durcheinanderbringen wird.


Umgangskonflikte - nicht immer hoffnungslos


In einem Teil der Fälle, bei denen chronische Umgangsstreitigkeiten auch noch ältere Kinder und sogar Jugendliche betreffen, haben diese in früheren Jahren noch eine Familie erlebt, in der die Eltern zusammenwaren. Sie kennen daher den umgangsbegehrenden Vater oder – seltener, wenn das Kind beim Vater lebt - die umgangsbegehrende Mutter aus nächster Nähe und als Bezugsperson im Alltag. In anderen Fällen liegen die Erinnerungen jedoch in der frühen Kindheit und vermischen sich mit Geschichten, die andere über den Vater oder – seltener – über die Mutter beigesteuert haben. Immer ist der Konflikt, wenn dieser sich verfestigt und schließlich unlösbar wird, jedoch im Zusammenleben der Eltern von Anfang an angelegt. In den besonders aussichtslosen Fällen hat das Kind nie ein harmonisches Zusammensein der Eltern gekannt.

 

Zur möglichst trennscharfen Definition jener Fälle, die wir in diesem Blog näher betrachten wollen, müssen wir das Kriterium der Chronizität heranziehen. Mit diesem Merkmal grenzen wir akute Umgangskonflikte ab. Bei diesen ist nicht zuletzt auch die Gerichtsakte deutlich dünner.

Akute Umgangsstreitigkeiten können sofort im Trennungsprozess einsetzen. Sie handeln oft von noch jüngeren Kindern und kreisen dann um die konkrete Ausgestaltung und Aufteilung des Zusammenseins beider Eltern mit ihren Kindern nach der Trennung: paritätische Modelle, Wechsel- und Nestmodelle, Umfang von Mitbetreuungen durch Großeltern und Dritte, erweiterte Besuche an Werktagen, klassische Wochenendregelungen, Urlaube, Methoden der Informationsweitergabe, Regelungen des Holens und Bringens. Trotz Uneinigkeit und Streitlust der Parteien wird in diesen Fällen die grundsätzliche Notwendigkeit eines Umgangs beider Eltern mit ihren Kindern nicht angezweifelt. Diese Fälle sind das Herzstück erfolgreicher Mediation und sonstiger lösungsorientierter Arbeitsformen. Nur allzu gern würden GutachterInnen mehr solcher Fälle bearbeiten. „Leider“ (aus Sicht der Gutachter), glücklicherweise (aus Sicht der Familien), ist die Mediations- und Beratungslandschaft in den meisten Metropolregionen so gut ausgebaut, dass Familiengerichte nur selten auf den Gedanken kommen, die wenigen verfügbaren Gerichtsgutachter mit diesen Fällen zu betrauen, weil sie dann für die schwierigen Streitfälle blockiert wären.


Sonderfall – versteckter Wechselwunsch


Eine interessante, nicht ganz so „einfache“ Variante akuter Umgangskonflikte betrifft Kinder, die - nach einer längeren gut verlaufenen Umgangspraxis - relativ unerwartet den Umgang zu verweigern beginnen, vorgeblich, weil bei den Besuchen irgendetwas Unschönes oder Belastendes passiert sei. Darüber wird sich dann allseits der Kopf zerbrochen. Der Vater zeigt sich verblüfft und ahnungslos, der Mutter schwant Böses. Diese Kinder sind oft längere Zeit in einer intakten Familie aufgewachsen und konnten stabile Bindungen zu beiden Eltern aufbauen, bevor die Ehe der Eltern zerbrach. Die Kinder konnten sich nach der typischen Phase von Belastung und Trauer zunächst in die neue Situation einfinden. Die Kinder stehen oft schon am Ende ihrer Kindheit und sogar schon an der Schwelle zur Jugend. Einer der Eltern oder beide haben sich bereits neu liiert und neue Familien gegründet, weitere Kinder, also Stiefgeschwister, sind entstanden - auf einer oder auf beiden Seiten. Der verborgene, durch die Begutachtung aufgedeckte Hintergrund dieser plötzlichen Verweigerung, liegt in der Sehnsucht des Kindes, die Seiten zu wechseln, verbunden mit der Angst (oder dem Erschrecken) darüber, dass sich die Mutter, an deren Seite sich das Kind nach der Trennung gestellt hatte, im Stich gelassen und brüskiert fühlen könnte und die Beziehung zur Mutter, wenn das Kind dem Wunsch weiter nachgehen würde, irreparablen Schaden nehmen könnte. Nach einer Phase, in der das Kind nach Rückkehr von seinen Besuchen begeisterte Berichte abgeliefert und so die Toleranz der Mutter getestet hatte, realisiert es irgendwann, bisweilen ausgelöst durch einen trivialen Anlass, die weitreichenden Konsequenzen seiner Neigung und „zieht die Notbremse“. Die Gutachter müssen herausfinden, ob die Weichen für einen Aufenthaltswechsel bereits gestellt sind oder ob es genügt, erst einmal die Umgänge wieder einzurenken.



Verhalten der Eltern - Herausforderung für die Kinder

 

In den Fällen, von denen dieser Blog vorrangig handelt, arbeiten sich die Kinder in unterschiedlicher Gewichtung und Überlagerung an drei Herausforderungen ab:

 

a) Das Kind erlebt konkret abnormes oder schwieriges Verhalten bei dem Elternteil, den es besuchen soll, und ist damit überfordert.


b) Das Kind erlebt abnormes oder schwieriges Verhalten des Elternteils, bei dem es lebt, ist aber an dieses Verhalten emotional adaptiert, befindet sich mit diesem in einer Schicksalsgemeinschaft, will diese Person beschützen und deren Interessen vertreten. 


c) Das Kind erlebt oder hat in der Vergangenheit angstvoll erlebt, wie beide Eltern auf gefährliche Weise aneinandergeraten (Kollusion) und sich bedrohen. Das Kind fürchtet durch das Mitmachen bei Besuchen an einer erneuten Eskalation des Streits der Eltern mitschuldig zu werden, zwischen die Fronten zu geraten und zerrissen zu werden.

 

Wir Gutachter müssen uns bei gerichtlichen Auseinandersetzungen, die sich mit langdauernden Umgangsverweigerungen älterer Kinder und Jugendlicher befassen, mit Langmut und professioneller Distanz wappnen. Angeblich haben andere Gerichte und andere Gutachter, die vor uns tätig waren, bereits „versagt“ und sich als „untauglich“ oder unfähig erwiesen. Es heißt, sie hätten „Fehler“ begangen und „Schaden“ angerichtet. Die RichterInnen wissen aus früheren Verfahren, warum sie nicht allein entscheiden, sondern gutachtlich beraten sein wollen. Die ganze Wucht aufgestauter Hoffnungen und wiederholter Enttäuschungen, Verärgerungen und Empörungen prallt auf den Prozess der erneuten Begutachtung und muss dort erneut absorbiert werden. Die Parteien drängen oder verweigern sich, argwöhnen, werben und würdigen herab. Am Prozess der Begutachtung wird modellhaft die hohe Belastung sichtbar, unter der sich die Kinder mit ihren Eltern real befinden. Am Ende des Gutachtens bleibt wieder eine Partei zurück, die das Ergebnis nicht annehmen kann und ihrem Ärger Luft machen muss. Die Unentrinnbarkeit dieser Abfolgen und die eskalativen Spiralen haben tragisches Ausmaß.

 

Im schriftlichen Gutachten müssen wir die Auffälligkeiten im Verhalten und gegebenenfalls die sichtbar gewordenen seelischen Abgründe beider Eltern (a und b) klar ansprechen, das heißt, die negativen Gefühle, mit denen die Mütter ihre Kinder belasten und sie daran hindern, sich ihrem Vater zuzuwenden, ebenso wie (gegebenenfalls) die Auffälligkeiten und irritierenden Seiten eines Vaters, mit denen dieser seine Kinder belastet oder bedroht. Ohne diese Ausführungen würden wir uns dem Vorwurf aussetzen, Probleme unterschlagen oder nicht erkannt zu haben und diese in unsere Abwägungen nicht einbezogen zu haben.

 

Wer entscheidet, was für ein Kind das Richtige ist?

In Wirklichkeit rücken die Erkenntnisse zur individuellen Pathologie beider Eltern jedoch am Ende des Gutachtens wieder in den Hintergrund. Nun schauen wir nämlich auf die Kinder und nicht mehr auf die Eltern. Wir entdecken (und müssen dies im Gutachten eindringlich darlegen), dass diese nicht darauf abheben und bewerten, welcher der Eltern die größeren psychischen Probleme hat oder wer sich am schlimmsten danebenbenimmt. Bei sehr jungen Kindern mag es noch angehen, dass Experten darüber befinden, welches elterliche Verhalten den Kindern guttut oder schadet, egal ob die Kinder dies einsehen. Bei älteren Kindern und Jugendlichen treten fürsorgliche Abwägungen dieser Art stark in den Hintergrund. Entscheidungen gegen den Willen der Kinder, sofern diese psychisch intakt und nicht in akuter Not sind, haben schlichtweg keine Erfolgschancen mehr! Wir müssen darauf vertrauen und erkennen dann auch tatsächlich, dass Kinder ein Gespür dafür haben, welche Verhaltensweisen und welche Parteinahmen ihnen die größtmögliche Sicherheit, Kontinuität und soziale Einbettung verschafft und sie vor Bindungsabbrüchen schützt. Kinder haben schmerzhaft gelernt, welche Positionierung zwischen den Eltern sich am besten bewährt hat, um den explosiven Elternkonflikt zu stabilisieren und was sie tun müssen, um zu verhindern, dass die „Bombe“ explodiert. Kinder blicken darauf, wie und mit wem sie aufgewachsen sind, wie sie sich in dieser oder jener Situation gefühlt haben und was ihnen geholfen hat, sich im Leben zurechtfinden, mit welchem Verhalten sie die beste Kontrolle über ihre Situation erlangt haben.

Es mag irritieren, dass sich Kinder in diesem Selbstfindungsprozess bisweilen auf die Seite jenes Elternteils begeben bzw. dort ausharren, den Fachleute ausgerechnet als besonders „gestört“ identifiziert haben. Die Kinder halten dagegen, dass sie an das Zusammenleben gerade mit diesem Elternteil am besten adaptiert sind (und diesem ja im fortgeschrittenen Alter längst nicht mehr wie kleine Kinder hilflos ausgeliefert sind).


Solche Anpassungsprozesse sind ab der späteren Kindheit und erst recht ab dem Jugendalter außerordentlich schwer umzukehren, schon gar nicht durch den anderen Elternteil, zumeist den Vater, der sich als Retter berufen fühlt, dabei aber allem, das sein Kind bislang gekannt hat, den Kampf angesagt hat bzw. alles anders machen würde. Kinder drohen, dass sie sich mit Händen und Füßen wehren würden, wenn ihr bisheriges Leben in Frage gestellt würde. Sie definieren sich über dieses Leben. Es hat ihnen möglich gemacht, sich in ihrer schwierigen Lage zu behaupten und ihr Sinn zu verleihen. Teilweise ignorieren die Kinder bei ihren bewussten Positionierungen sogar einen Teil ihrer natürlichen Neigungen. Stets bedarf es gebührender Anstrengung unseres Einfühlungsvermögens, bis wir begriffen haben, warum diese Positionierung in der Gesamtlage, in der sich das Kind befindet, Sinn ergibt.


In der Diskussion müssen wir als Gutachter so nachdrücklich, wie irgend möglich, die hohe Bedeutung der kindlichen Willensbekundungen älterer Kinder darlegen: deren autonomes Gewicht, deren Würde und das darin zum Ausdruck kommende Recht der Kinder auf Selbstbehauptung und Selbstfindung, dies alles angesichts einer schwierigen Lage, die nicht wir, sondern nur die Kinder zur Gänze durchschauen. Die Verletzung des Kindeswillens bei älteren Kindern und Jugendlichen birgt ein hohes Entwicklungsrisiko und Risiko des Scheiterns.

 


Zerstrittene Eltern begreifen nicht, worauf es den Kindern ankommt


Oft wird deutlicher, warum sich die Kinder auf eine bestimmte Seite stellen, wenn man die Risiken ihrer Entscheidung mit jenen Risiken vergleicht, auf die sich die Kinder einlassen würden, wenn sie eine andere Entscheidung getroffen hätten. Es wäre unwissenschaftlich und „Augenwischerei“, wenn man im Sinne eines „Wunschkonzerts“ die (theoretisch) möglichen Vorzüge einer alternativen Empfehlung ins Feld führen würde, die das Kind ausgeschlagen hat. Kindern mit ewig zerstrittenen Eltern wird nichts geschenkt – auf keiner Seite. Kinder entscheiden sich in der Regel, an dem festzuhalten, was sie haben.


Es gilt, die streitenden Parteien weg zu führen von billigen Behauptungen wie jenen, das Kind sei durch die Mutter instrumentalisiert und manipuliert worden oder das Kind habe immer noch Angst vor dem, was der Vater der Mutter einst angetan habe. Die streitenden Parteien begreifen nur mühsam, dass Kinder, die ihr ganzes Leben in chronisch disharmonischen Familien oder in ewig schwelenden Besuchskonflikten verbringen müssen, bis sie endlich groß sind, innerlich weitaus weniger mit den abstrakten Negativmerkmalen ihrer Eltern beschäftigt sind als mit den konkreten Gefahren, die aus der pathologischen Kollusion der Eltern erwachsen. Es sei nochmals wiederholt: Alle Überlegungen der Kinder, wie sie sich verhalten sollen, gehen dahin, wie sie den Streit ihrer Eltern begrenzen und eindämmen können. Im häufigsten Fall verfallen diese Kinder auf die Lösung einer konsequenten Umgangsverweigerung und einer demonstrativen Parteinahme für die Bedürfnisse der Mutter. Diese ist für diese Kinder nicht nur "gefühlt", sondern auch von außen betrachtet ihr Lebensmittelpunkt und in dieser Funktion unersetzlich. Jedes Einlenken (zugunsten von Umgängen) würde die Kinder mitten hinein in den Strudel des elterlichen Streits versetzen und die errichteten Barrieren zum Einsturz bringen.


Gegen diese Argumentation (des Klammerns an den Lebensmittelpunkt "Mutter") wird oft eingewendet, dass ein Umgangsverfahren doch nichts damit zu tun habe, den Kindern ihren Lebensmittelpunkt zu rauben oder ihnen eine völlige Neudefinition ihres Lebens abzuverlangen. Es heißt, es gehe doch "nur" um Besuche. Bei genauerem Hinsehen liegen viele Kinder chronisch zerstrittener Eltern in ihrer Einschätzung jedoch richtig, dass sie bei auch nur kleinsten Zugeständnissen an den besuchsbegehrenden Elternteil zu Einfallstoren, Nachrichtenüberbringern, Stichwortgebern, Anlässen und Angriffsflächen für den Streit der Eltern würden, mehr noch, dass sich hinter der billigen Forderung nach Umgängen der radikale Anspruch eines Vaters verbirgt, sein Kind endlich in ein anderes Leben zu führen, aus dem Einflussbereich der Mutter zu entfernen, zugleich aus der Kindeswohlgefährdung, der "Entfremdung" und "Gehirnwäsche", die das Kind dort erdulden müsse, kurzum, dass es gerettet werden müsse.

Prüfen Sie anhand des Aktenverlaufs und Ihrer eigene Inaugenscheinnahme, ob Sie die Angst des Kindes bestätigen können, dass es um viel mehr als nur um Umgänge geht und immer schon gegangen ist. Noch nie haben die hier gemeinten Kinder – anders als bei den weiter oben genannten Fällen mit Wechselwunsch – auch nur die geringste Neigung oder die seelischen Voraussetzungen besessen, um sich auf eine fundamentale Neuausrichtung ihres Lebens einlassen zu können, wie es ihnen abverlangt würde, wenn sie auf Besuchskontakte eingehen würden.


Achtung - jeder Fall liegt anders


Zu guter Letzt müssen Sie als Gutachter vor dem gleichen Hintergrund eines chronischen Elternkonfliktes aber auch auf vollkommen andere kindlichen Einstellungen gefasst sein: Manche Kinder verteidigen unverdrossen – auch gegen die Vorbehalte der Mutter – den Kontakt mit einem verhaltensschwierigen Vater. Auch hier gilt es zu ergründen, warum Kinder sich diese Leistung abverlangen. Könnte es sein, dass sie den Vater auf diese Weise vor Entgleisungen bewahren wollen, damit er nicht alle in den Abgrund reißen kann? Oder wollen sie den wichtigen väterlichen Großeltern einen Gefallen tun, weil diese die Zugehörigkeit zu einem erweiterten Familiensystem ermöglichen? Kinder, die allein und mit einer alleinerziehenden Mutter aufwachsen, fühlen sich zu erweiterten familiären Zusammenhängen hingezogen, weil sie dort bei ihrer Suche nach Identität und innerer Stabilität Anker werfen können.

Jeder Fall ist also anders gelagert. Jedes Kind bilanziert anders. Sie als Gutachter müssen stets alles daransetzen, die Lage der Kinder von innen zu ergründen und die Diskussion auf diesem Wege aus dem Schema gegenseitiger Vorwürfe befreien und auf eine andere Ebene heben.

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